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Der Forschungsgegenstand

In der Pilgerzeichendatenbank werden die europäischen Pilgerzeichen aus der Zeit vom 11. Jh. bis zum beginnenden 16. Jh. erfasst.

Es handelt sich – mit Ausnahme der Pilgermuscheln aus Santiago de Compostela – um kleine Metallgüsse, die seit der Mitte des 12. Jahrhundert in Wallfahrtsorten an Pilger verkauft wurden. Auf ihnen ist der jeweils verehrte Heilige oder das verehrte Kultobjekt abgebildet. Einige haben eine Inschrift. Daher ist jedes Pilgerzeichens durch seine Ikonographie oder seiner Inschrift mit einem bestimmten Herkunftsort verbunden.

Pilgerzeichen sind nicht als Rechtszeichen im strengen Sinne eines ‚Ausweises’ zu verstehen, sondern sie hatten als Trachtzubehör eine eher symbolische Funktion. Sie dienten vornehmlich dazu, den Pilger als solchen kenntlich zu machen – was ihm unter Umständen auch Vorteile wie kostenlose Unterkunft und Verpflegung brachte. Wesentlich war auch, dass seit dem Hochmittelalter Pilger unter dem Schutz des Kirchenrechtes standen.

An den meisten Pilgerzeichen sind seitlich kleine Ösen angebracht, mit denen der Pilger sie an der Kleidung befestigt konnte. Auf diese Weise gelangten die Pilgerzeichen mit ihren Trägern zurück in deren Herkunftsgebiet.

Die Pilgerzeichen waren das erste bildliche Massenmedium im abendländischen Europa und wurden in sehr großer Stückzahl ausgegeben. Von einzelnen Orten sind beeindruckende Verkaufszahlen bekannt. Der Eintrag in einer Konstanzer Chronik vermerkt zum Jahr 1466 den Verkauf von 130.000 Pilgerzeichen der Gnadenkapelle des Schweizer Benediktinerklosters Maria Einsiedeln allein in den zwei Wochen des Engelweihfestes. Den Pilgern zur Schönen Maria in Regensburg wurden von 1519-1524 50000 bleierne und 18000 silberne Zeichen verkauft. Derartig hohe Emissionen waren aber nicht die Regel. Kleinere Orte veräußerten pro Jahr nur etwa 1000 bis 2000 Zeichen. Man darf davon ausgehen, dass die ursprüngliche Gesamtmenge der ausgegebenen Wallfahrtszeichen einige Millionen Exemplare betrug.

Dieser riesigen Menge an ehemals hergestellten Zeichen steht heute eine vergleichsweise geringe Anzahl von circa 20 000 erhalten Nachweisen gegenüber. Neben den eher seltenen Originalfunden, welche meist in Gewässern, Häfen oder Kloaken angetroffen worden sind, war es besonders in Mittel -und Norddeutschland sowie in Skandinavien üblich, die Zeichen auf Glocken, manchmal auch auf Erztaufen oder Zinnkannen abzugießen. Die Stücke wurden dafür in den Mantel der Gussform gedrückt und blieben so als Abguss erhalten. Diesen Abgüssen ist besonderer Aufmerksamkeit geschuldet, da die Datierung des Trägerobjektes eine recht genaue Datierung der abgegossenen Zeichen erlaubt.

Die typologische Entwicklung der Zeichen, wird in vier Phasen eingeteilt. Christliche Pilger haben schon seit dem vierten Jahrhundert Andenken von ihren Reisen ins Heilige Land oder aus Rom mitgebracht. Dabei handelte es sich aber eher um unspezifische Andenken, um Substanzen wie Staub, Wasser oder heiliges Öl.
Als erstes europäisches Pilgerzeichen im eigentlichen Sinn kam ab dem elften Jahrhundert die Jakobsmuschel auf - als Zeichen der derzeit wieder so populären Wallfahrt nach Santiago de Compostela. An den Hauptrouten nach Santiago und auch an den wichtigen Handelswegen in Italien entstanden bereits im zwölften Jahrhundert neue Wallfahrten zu Reliquienschätzen und zu meist auf wundersame Weise erschienenen Madonnenstatuen oder anderen Gnadenbildern. An diesen Orten begann man kleine, etwa drei bis fünf Zentimeter große, kompakte Zinn-Bleigüsse an die Pilger zu verkaufen, die als Flachgüsse bezeichnet werden.

Die räumliche Expansion des Wallfahrtswesens setzte sich nach Osten und Norden fort. Schließlich entwickelten sich ab dem 14. Jahrhundert auch in Mittel- und Nordeuropa Wallfahrten zu Reliquien, Heiltumsweisungen, eucharistischen Wundern und mirakulösen Gnadenbildern. Auch an diesen Stätten wurden Pilgerzeichen verkauft. Diese nun als durchbrochene Gittergüsse ausgeführten Stücke waren mit bis zu 18 Zentimetern Höhe deutlich größer als ihre Vorgänger. Einige dieser Zeichen - besonders die der Aachener Heiltumsweisung - enthielten kleine Spiegel, welche die Pilger bei der Weisung hochhielten, um das Heil, welches von den verehrten Objekten ausging, einzufangen.

Ab dem Ende des 15. Jahrhunderts wurden Pilgerzeichen auch als geprägte Brakteaten hergestellt. Im mitteldeutschen Raum sind derartige Signa beispielsweise für Grimmenthal und St. Wolfgang im See belegt.

Jeder Pilgerzeichenfund steht für eine Reise, während der ein Pilger es erworben und mit in seine Heimat gebracht hatte. Mit Hilfe der Pilgerzeichenfunde lässt sich die religiöse Mobilität des Spätmittelalters daher aus Blickwinkeln betrachten, die durch den alleinigen Gebrauch von Schriftquellen oft nicht erfasst werden können, da letztere zwar von einschlägigen besonderen Einzelereignissen berichten, oft aber über alltägliche Geschehnisse in der breiten Bevölkerung schweigen.

In der Datenbank ist jedes Pilgerzeichen, seine Gestaltung und sein Erhaltungszustand genau beschrieben. Jeder einzelne Nachweis ist mit Fund– und Herkunftsort in seinen technischen Maßen und auch hinsichtlich seiner Überlieferungsart erfasst. Pilgerzeichen sind nicht nur als Originale oder Abgüsse, sondern auch als bildliche Darstellungen auf Gemälden, Drucken oder in Gebetsbüchern überliefert. Daneben gibt es Testimonien, u.a. in Rechnungsbüchern oder Reiseberichten, die Pilgerzeichen bezeugen. Zusätzlich werden dort, wo dies möglich ist, Informationen zur Sekundärliteratur, zum Fundkontext, zur Datierung und zum Verbleib der Stücke gegeben.

Die Pilgerzeichendatenbank eröffnet so Interessierten, Wissenschaftlern wie auch Laien, ein breites Spektrum an Nutzungsmöglichkeiten. Es sind in erster Linie kulturgeographische Aspekte, wie der Wirkungskreis eines Wallfahrtsortes, die Lage der Pilgerziele, die von bestimmten Regionen aus besucht wurden, oder die chronologische und inhaltliche Entwicklung innerhalb des Gesamtphänomens der spätmittelalterlichen religiösen Mobilität, die aus dem Material erschlossen werden können. Die Fülle des Materials und die aufwendige Aufbereitung erlaubt aber genauso die Betrachtung anderer historischer, kunstgeschichtlicher und archäologischer Probleme.

Für Hinweise auf neue Fundstücke, Kritik und Anregungen sind wir dankbar.