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Der Pilgerzeichenkatalog Kurt Köster im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg sucht seit seiner Gründung im Jahre 1852 nicht bloß eine Sammlung von Kunstgegenständen und historischen Realien zu sein, sondern gleichermaßen eine Zentralbibliothek zur deutschen Kulturgeschichte und ein veritables historisches Archiv. Letzteres hat nicht in gleichem Maße gelingen können, sondern blieb von Zufallsentwicklungen abhängig, so daß heute die Abteilung "Archiv für bildende Kunst" mit Nachlässen von modernen Künstlern im Vordergrund steht. Daneben existiert in diesen Zusammenhängen die kriegsbedingte Hinterlassenschaft des "Deutschen Glockenarchivs", abgeschlossen 1943, das nach Rückführung der nicht mehr eingeschmolzenen Glocken aus dem sogenannten Glockenfriedhof im Hamburger Hafen seit 1966 dem GNM gehört. Der seinerzeitige Frankfurter Privatdozent der historischen Hilfswissenchaften, habilitiert 1948, Kurt Köster (1912-1986) besserte damals den Lebensunterhalt seiner Familie mit Erfassungs- und Identifikationsarbeiten mittelalterlicher Glocken für die Evangelische Landeskirche Hessen und Nassau auf, wobei er nicht bloß die Inschriften zu entziffern, sondern auch den Glockenschmuck zu beachten hatte, dessen traditionelle Pilgerzeichenverwendung wichtige Hinweise auf Frömmigkeitszusammenhänge und Kultverbreitungen bietet. Daraus ist später das Buch entstanden über "Meister Tilman von Hachenburg. Studien zum Werk eines mittelrheinischen Glockengießers des 15. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung der als Glockenzier verwendeten mittelalterlichen Pilger- und Wallfahrtszeichen" (1957).

Nachdem Köster seit 1951 stellvertretender Direktor der im Westen neu begründeten Deutschen Bibliothek geworden war und schließlich als Chef von 1959 bis 1975 deren grandiosen Ausbau leitete, blieb dem Generalmanager für seine Nebentätigkeit als apl. Prof. der Universität Frankfurt am Main nur noch das wissenschaftliche Hobby der Pilgerzeichenforschung, deren reiche Materialsammlung aus 35 Jahren er im Jahrzehnt nach seiner Pensionierung mit Hilfe eines DFG-Projektes in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Deutsche Philologie und Volkskunde der Universität Würzburg zwischen 1980 und 1985 zu einer für jedermann benutzbaren Kartei aufarbeitete. Das daraus entstehen sollende große Handbuch für den Atlantis-Verlag in Zürich ist ihm nicht mehr gelungen, doch seine vielen umfangreichen Beiträge zum Thema dokumentieren eindrucksvoll seinen internationalen Wissens- und Erkenntnisstand. Die bis 1977 erschienenen Publikationen sind in seiner Festschrift zum 65. Geburtstag verzeichnet (hg.v. G. Pflug u.a., Frankfurt 1977), die späteren Aufsätze in einem Manuskript des Jahres 1986 mit allen 35 Schriften des Autors zum Thema erfaßt, das sich zusammen mit den Sonderdrucken im GNM befindet. Einen Zwischenbericht zur Karteierarbeitung stammt von Heidemarie Gruppe: Pilgerzeicheninventarisation. Zu Begriff und Sache im DFG-Projekt "Pilgerzeichenkatalog", in: W. Brückner (Hg.), Wallfahrt, Pilgerzeichen, Andachtsbild. Würzburg 1982, S. 9-35.

Nach seinem Tode hat die Witwe von Kurt Köster vereinbarungsgemäß alle Materialien dem Archiv des GNM überstellt. Die Kartei erfaßt 3262 Pilgerzeichen, 76 Model von Pilgerzeichen, 1765 Glockenabgüsse von Pilgerzeichen, 605 sonstige Devotionalien mit Pilgerzeichencharakter, 653 zeitgenössische bildliche Darstellungen von Pilgerzeichen, 227 archivalische Bezeugungen von Pilgerzeichen. Das sind alles in allem 6590 Nachweise einzelner Zeichen des Mittelalters, von denen 3967 bestimmten Verehrungs- und Ausgabeorten mit Sicherheit zugeordnet werden können. Diese bilden die nach Wallfahrtsorten sortierte Hauptkartei. Eine weitere Kartei umfaßt die identifizierten und die noch nicht entschlüsselten Heiligendarstellungen. Hilfskarteien verschiedener Register erschließen die Dokumentationsblätter, eine Sammlung von 1393 Sonderdrucken und Xerokopien der sogenannten grauen Literatur aus 27 Ländern ergänzt das Arbeitsinstrument, zu dem auch eine Gesamtbibliographie der Pilgerzeichenforschung existiert. Rund 3000 Kleinbildnegative sind die Grundlage für eine Fotokartei der optischen Dokumentation zu den Einzelbeschreibungen. Hinzu kommt an Anschauungsmaterial eine Sammlung von Gipsabgüssen originaler Stücke sowie eine Reihe Pilgerzeichen-Abgüsse von Glocken.

Da das GNM bislang nur die Aufbewahrung und das Zugänglichhalten der vorhandenen Materialien zu leisten im Stande war, handelt es sich mithin um ein vor fünfzehn Jahren eingefrorenes Unternehmen, das jedoch weiterhin die Grundlage für ein Zusammenführen der intensivierten, aber verstreuten internationalen Bemühungen um das kulturhistorisch vielschichtige Phänomen Pilgerzeichen bilden könnte.

Wolfgang Brückner